Nr. 5

Alles Punk – besonders im Chaostage-Theater!

aus »Reflux«, 2018

Ein bizarres Szenario: Vor Jahrzehnten prügelte der Staat unsereinen knüppelschwingend durch die Straßen, und der gemeine Punk fand Deutschland Scheiße – nun lud der gleiche Staat zur Premiere von »Chaostage« ins Staatstheater Hannover! Es ging um Kultur. Ungefährlich, im Künstler-Reservat, ohne Brandgeruch.

Und gleichzeitig wurde einem ergrauten Chaostage-Veteranen – mir! – von Deutschlandfunk ein strammes Honorar geboten, damit er nach Hannover fährt und sich als Punk-Nutte in Theaterkritik übt. Das klang aufregend, ich nahm den Job an. Nach der Pleite mit Jana konnte ich die Kohle gut gebrauchen - auch wenn es nur zum Trostpflaster reichte.

Chaostage. Ich kann’s nicht mehr hören. Die gerechte Strafe, daß ich mir 1000mal darüber die Finger wundgeschrieben habe. Und je tiefer die Chaostage in der Vergangenheit verschwinden, desto stärker leuchtet mein Heiligenschein. Ich kann längst jedes Märchen erzählen, was mir zum Thema in den Sinn kommt. Wie ich bei Spießers den Fernseher aus dem Fenster warf. Die uneinsichtige Polizistin vergewaltigte und Kinderwagen umwarf. Wie ich den Sturmangriff auf den PENNY-Markt organisierte und die anschließende Plünderung befahl. Man glaubt mir alles.

Trotzdem! Seit den G20-Krawallen war tote Hose, in Hamburg herrschten wieder Olaf Scholz und Langeweile. Mein Tatendrang rotierte im Leerlauf, Adler wartete sehnsüchtig auf neue Massagen.

Also machte ich mich am 9. Dezember 2017 – meinem 57. Geburtstag – per ICE auf den Weg in die niedersächsische Landeshauptstadt. Als Nietenkaiser in der ollen Punk-Jacke. »Nie wieder Frieden« stand immer noch in guter alter Fraktur auf dem Rücken. »Ein bißchen Spaß muß sein«, selbst wenn man sich dafür zum Narren machen muß! Das wußte Roberto Blanco schon in den 70ern.

Am Hannoveraner Hauptbahnhof angekommen, wandelte ich durch die Weihnachtsmarkt-Hyänen wie ein wandelnder, glitzernder Christbaum Richtung Theater. Der Künstlerbande zeigen, wo der Hammer hängt. Null Toleranz. Respektlos und gemein, wie es sich für ein Punk-Arschloch vom Dienst gehört. Die Maskerade aufrecht erhalten. Was ich wirklich dachte und fühlte, wollte ich keinem erzählen. Ich hatte einen Punk-Job abzuliefern, schließlich wurde ich dafür bezahlt.

Die Beweisführung, daß irgendwas oder irgendwer kein Punk ist, war Teil des Pflichtprogramms. »Was hat das noch mit Punk zu tun?«, so lautet seit Ewigkeiten die unschlagbare Punk-Keule. Geschwungen besonders gerne von Außenstehenden, um zu unterstreichen, daß die eigene irre Welt alternativlos ist. Punk im Mercedes – kann kein Punk sein! Punk mit Job? Wie unpunkig! Punk mit Kinderwagen? Total spießig!

In Wahrheit ist genau das Punk! Neben 1000 anderen Behauptungen, Einfällen und Geisterfahrten. Niemand mit ein bißchen Grips wird zu belegen versuchen, daß etwas nicht Punk ist!

Schon 1979 fand es eine Handvoll Punks konsequent, als Kontrast zur bunthaarigen Lederjackenmeute im Anzug durch die Gegend zu laufen. Wie irre! Und alle Bürger hatten geglotzt. Nicht?

Andere rasierten sich die bunten Haare, zogen Bomberjacken über und wollten als Skinheads die »neue Rasse« darstellen. Als Super-Punks, wie sie insgeheim dachten. »Deutschland den Deutschen« mit der Glatze eines KZ-Insassen – das war eindeutig häßlicher und subversiver als jede Struwwelpeterfrisur.

Derartige Gedankengänge haben unsere Jugend geprägt, und es ist nur folgerichtig, daß sie nur noch im Museum oder im Theater zu bestaunen sind. ALLES KAPUTTMACHEN ist eine universelle Lösung und gilt nicht nur für Deutschland, Ausland, Werte, Normen und Bierflaschen. Also muß auch Punk zum Teufel gehen, das ist seine allerheiligste Verpflichtung.

Und ein irrwitziger Selbstgänger zugleich, ein Perpetuum mobile der Realität. Man muß da nicht groß nachhelfen, und nicht erst seit den Chaostagen 1984 zeigt Punk, daß nichts und niemand mehr von Selbstzerstörung versteht als eben Punk.

In diesem Licht betrachtet, hat das Chaostage-Theaterstück alles richtig gemacht. Ich wurde nicht überrascht, wie ich zu meinem Leidwesen feststellen mußte: Regie und Darsteller boten langweiliges, jammervolles Opfergeschwätz, von dem ich mir kaum einen Satz gemerkt habe. Umweltzerstörung, die Eltern, Atomraketen, Nazis, das Scheiß-System, bla bla bla. Aus alten Spiegel-Artikeln oder Büchern zum Thema abgeschrieben. Abgesichert von überall herumliegenden überdimensionierten Kissen, um sich beim Rumgehopse nicht zu arg auf die Fresse zu legen. Ein rauchender Punk-Darsteller, der brav in den Aschenbecher ascht.

So lauteten eben die Spielregeln des hannoverschen Punk-Theaters, immer schön das Kleingedruckte der Hausordnung beachten. Und bloß niemanden bei den Eiern packen.

Ich wäre fast eingeschlafen. Daß der Schlagzeuger ohn’ Unterlaß »Hängt die Bullen auf und röstet ihre Schwänze« und irgendwas von »Revolte« sang, machte es nicht besser. Schade, daß kein Polizeibeamter da war, den Kerl festzunehmen.

Bis mir nicht anderes übrig blieb, als mein mitgebrachtes POLIZEI-Shirt überzustreifen, rumzukrakeelen und einem der Darsteller in die Eier zu greifen. Alles muß man selbst machen. Da fühlt man sich als alter Sack für einen Moment noch mal wie ein echter Punk von der Stange.

Leider war meine Blase nicht voll genug – ich hätte gerne einen fetten, gelben Strahl im Schlagzeug platziert. Oder reingeschissen, so wie GG Allin, als der noch die Bühnen verunsicherte. Ja, früher – da wäre das kein Problem gewesen, das waren noch Zeiten! Aber jetzt stolpert unsereiner auf debiles Rentnertum zu, das gerade mal Inkontinenz zustandebringt.

So oder so, ob es mir gefiel oder nicht: Wieder einmal war ich Teil des Chaostage-Theaters – was Regisseurin wie Schauspieler »gaaanz spannend« fanden. Alles Kunst, alles Punk! Und interessiert genau deshalb keinen Arsch. Legt euch wieder hin – weil alles Punk ist, ist es nichts.

Ich überlegte: Nach dem Ende des Islamischen Staats wurde es langsam Zeit für echte Chaostage. Kein Theaterscheiß. Die nächsten hatte ich schon vor Ewigkeiten für das Jahr 2022 angekündigt. Mit ein wenig Glück mochte es gelingen, Hannover endgültig dem Boden gleichzumachen. Zur Strafe für alles – auch für dieses Theaterstück!

Und dann wäre Deutschland dran. Die ganze Welt. Das Universum. Hauptsache KAPUTTMACHEN. Aber vorher noch ein bißchen ficken und hektoliterweise Bier und Sperma verspritzten. Den Körper von Kopf bis Fuß mit Scheiße einschmieren, die neue Welle der Kot-Punks. Damit kommen die Bullen auf keinen Fall klar, die Linken nicht, auch keine Medien und Künstler.

Und endlich, endlich hätte uns wieder keiner lieb.

Hätte, hätte, Suff-Punquette, grinste ich, als ich in den ICE nach Hamburg stieg. War nicht mein Job, diese Einfälle per Powerpoint-Präsentation zu verbreiten, dafür bezahlte mich niemand. Ich würde nicht mit 1000 betrunkenen Punks durch die Stadt laufen, mit 61 Jahren.

Lieber den Alltag im Auge behalten: Nachdem ich heute genug lächerliches Theater gesehen hatte, würde ich nach meiner Rückkehr The Punisher bei Netflix glotzen, das war die bessere Show. Oder für die Kohle vom Deutschlandfunk was Nettes zu Weihnachten kaufen.

Die Welt hingegen sollte mit den Chaostagen und auch mit Punk machen, was sie wollte. Wo doch eh alles Punk war. Von der CDU bis Mein RTL. Sie konnten ihn haben, den Punk der Anderen.

Was ich wollte?

Ein warmes Bett. Spazierengehen, beobachten, notieren, in Alter Deutscher Rechtschreibung. Eine Frau, mit der mich vielleicht so etwas wie Liebe verband, aufgepeppt mit gelegentliche Anfällen von Geilheit. Das war’s, was vom hyperventilierenden Schnellspritzer von einst geblieben war. Ich hatte keine Lösungen auf Tasche, wie man dem gierigen Monster da draußen die Fresse polieren konnte, erst recht keine politischen. Nur meine ungebremste Lebenslust. Auch wenn mir immer häufiger die Puste ausging.

Den Punk jedoch - und alles, was damit zusammenhing – wollte ich gerne allen da draußen überlassen – ebenso den irren Kampf um die Gesetzmäßigkeiten menschlicher Zivilisation. Solange man mir nur meine Schundhefte ließ, meine Bude mit allem, was darin lagerte. Solange ich essen und trinken konnte, was ich wollte, mich keiner zwang, für dieses oder gegen jenes schreiend durch die Straßen zu ziehen. Solange mir niemand meine Worte nehmen und ich weiterschreiben konnte. Genug neuen Stoff hatte ich nun.

Und meinen Punk konnte mir eh keiner nehmen.

DOWNLOADS ZUM BEITRAG
Gönnen Sie sich unbedingt weitere Veröffentlichungen unseres TOP-Autors KARL NAGEL! Es erwarten Sie wie gewohnt packende Unterhaltung, prickelnde Erotik und schockierende Enthüllungen! Lesen Sie PROVOPOLI - Nur einen Klick entfernt!
ACHTUNG!
Ihr Computer ist eingeschaltet!
Sie sind mit dem Internet verbunden!
Hier werden SESSIONS und COOKIES verwendet!
Die Inhalte dieser Website könnten Sie verunsichern!
MINDERJÄHRIGE könnten in ihrer Entwicklung gestört werden!

MACHT IHNEN DAS ANGST?

WOLLEN SIE DAS WIRKLICH?

DENKEN SIE GRÜNDLICH
DARÜBER NACH!