Der große Punk-Schwindel
Wuppertal: Eine Stadt, in der der Punk los war! Zwei Festivals mit je 600 und 800 Punk-Konsumenten aus der ganzen BRD und West-Berlin, seit Februar 1982 monatliche Treffen in der City, eine überdrehte Polizei, die mit dem »Punker-Problem« nicht fertig wurde. Wuppertal, DIE Punk-Hochburg '82 mit der echt geilen Szene, eine Nachricht, die sich wellenförmig verbreitete und immer neuen bunten Besuch ins Tal zog.
Und natürlich die Reporter. STERN und SPIEGEL kamen und photographierten, unzählige Zeitungen berichteten. Aber ich hatte schon gute Gründe, dieser scheinbaren »Punk-Stadt« den Rücken zu kehren …
Was nämlich kaum einer weiß: »Wuppertals geile Punk-Szene« hat’s nie gegeben. Autonome und Nazis, Polizei und Presse sind auf ein Phantom hereingefallen, das in ihrer Phantasie existiert hat als ihre fleischgewordenen Wünsche und Ängste.
Das freut natürlich jeden guten Punk - Verarschung rules ok. - hinterläßt aber dennoch eine Spur Bitterkeit, vielleicht sogar Trauer. Denn: Wie schön wär’s gewesen, hätte man die Lüge Wahrheit nennen können!
Nachdem im Sommer 82 die Wuppertaler Punk-Szene durch einen brutalen Einsatz der Polizei am InVoh-Kino (Es lief The Great Rock’n Roll Swindle) zerschlagen worden war, starb der Punk im Tal. Die eine Hälfte stieg aus Angst vor Repressalien aus, die andere ließ sich die bunten Haare zum Skinhead abrasieren.
Just zu diesem Zeitpunkt hatte eine Handvoll Leute die Nase voll vom selbstgefälligen Geblubber der autonomen Linken in Wuppertal und wollte im Punk, neue Wege suchen - heftig kritisiert und auch belächelt von jenen Linken.
So fand sich Ende '81 eine Gruppe Ex-Punks wie Ex-Autonome, um den »großen Schwindel« auszubrüten. Nannte zwar keiner so, aber jedem war klar, daß wir kräftig auf die Kacke hauen mußten, um Punk im Tal wiederzubeleben.
Mit Sensationsmache, Publicity, Ausnutzung einiger Gesetzmäßigkeiten in Politik und Musik-Business und und der damit verbundenen Notwendigkeit zu lügen hatte seinerzeit SEX-PISTOLS-Manager Malcolm McLaren die Kult-Gruppe des Punk zum Erfolg geführt - wieso nicht diese grandiose Rezeptur kopieren? Wenn man nur den Eindruck erwecke, im Tal sei »der Punk los«, würden die Punks schon von selbst nachkommen!
Konzerte mußten her, öffentliche Treffen, Graffiti- und Sprühaktionen und nicht zuletzt Schlagzeilen in der Presse. Wichtige Voraussetzung für das Gelingen des »Schwindels« allerdings war das Unterbleiben von Kamikaze-Aktionen, die nur im Knast enden würden. Der lockere Aufstand mußte her!
Wie es der glückliche Zufall wollte, eröffnete zu diesem Zeitpunkt (Januar '82) eine Kneipe, die zum Treffpunkt von Punks, Skins und Teds wurde. Im »Gemütlichen Eck« wurde bald von den verschiedenen Gruppen ein Treffen in der Innenstadt angekündigt und vorbereitet, gedacht als Klarstellung, daß man sich nicht in gegenseitige Kleinkriege hetzen ließ.
Startschuß für die »Punk-Bewegung« in Wuppertal, die nie aus mehr als einem Dutzend Punks bestand.
Kamen beim ersten Treffen im Februar gerade mal 50-70 Leute, davon nur wenige Punks (eben die Wuppertaler), so schnellte die Zahl bis Mai auf 100-150 Buntköppe. Nachdem sich die Nachricht verbreitet hatte, in Wuppertal sei »was los«, ging die Saat auf: Immer mehr Punks besuchten unser bis dahin schönes Tal. Bürger wie Polizei mußten den Eindruck bekommen, die Punk-Szene Wuppertals sei unaufhörlich im Wachsen begriffen.
Als am 1. Mai ein von den im Kommunikationszentrum DIE B ÖRSE mitarbeitenden Punks veranstaltete Festival stattfand, wimmelte es den ganzen Tag in der City von Punks: Am Brunnen, im Bahnhof, in den Geschäften, in der Bahn, einfach überall. Niemand konnte ihnen aus dem Weg gehen.
Die Wuppertaler Polizei rotierte. Immer wieder Ausweiskontrollen, Patrouillen Dutzende behelmter Polizisten in der City, fast schon Ausnahmezustand.
Doch der ganze Tag wie auch das Festival selbst verliefen so ruhig, daß die herangekarrten Hundertschaften keinen Grund zur Knüppelorgie fanden. Nach diesem Tag mußten Bürger wie Polizei endgültig glauben, in ihrer Stadt gebe es eine riesige Punks-Bewegung.
Gab es aber nicht!
Beim 4. Treffen am 8. Mai 1982 beging die Polizei den Fehler, der den »Schwindel« erst richtig ins Rollen brachte: Als eine größere Gruppe von Punks nach 8 Festnahmen - wegen ein paar zerbrochenen Bierflaschen - dem in Wuppertal tagenden SPD-Bezirksparteitag einen Besuch abstatten wollte, wurden kurzerhand alle 60 eingesackt. Nach ein paar Stunden »Sicherungsgewahrsam« gab’s den Hinweis mit auf den Weg, die Polizei habe »jetzt endgültig die Nase voll« und würde keine größeren Punk-Ansammlungen in der City mehr dulden. Ab 5-10 Punks würde durchgegriffen.
Dieser vorläufige Höhepunkt staatlicher Dummheit konnte nur Gelächter ernten. Aber man kann aus solchen Ansagen auch hervorragend Kapital schlagen: Die arme, arme von Zerschlagung bedrohte Punk-Szene Wuppertals rief um Hilfe - und alle kamen!
Nachdem mit einem Flugblatt der nötige Dampf gemacht worden war - auch »Chaoten, Rocker, Stadtstreicher, Ratten und Schmeißfliegen« waren zur Solidarität aufgefordert - fanden sich auf dem Treffen vom 5. Juni rund 300 Leute ein. Diesmal auch dabei: Wuppertals Autonome Linke und Anti-Imperialisten, die die vorher belächelte »Punk-Welle« nicht länger ignorieren konnten. Keine Feier ohne Meier.
Als die Polizei dieses verbündete Chaos sah, war’s aus mit der Fassung. »DESTROY!«, hieß ihre Devise!
Ergebnis: »200 Punker prügelten sich mit der Polizei!« (BILD) und »Bei Schlachten in Elberfeld floß Blut und flogen Flaschen!«(WZ).
In den folgenden Wochen war das Punker-Thema in aller Munde. Hinz und Kunz bemühten sich, ihre Verbundenheit und Solidarität mit Wuppertals neuer Bewegung zu bekunden. Dahinter steckte sicher auch die Hoffnung, sich vielleicht auch ein Stück vom Kuchen abschneiden zu können, on links wie rechts gab's Annäherungsversuche.
Vorher schon hatte die Welle der Mitläufer eingesetzt, die jetzt ihren Höhepunkt erreichte. Nicht alle waren Punks, aber sie bemühten sich, »dabei« zu sein und die Punks in ihrer Radikalität noch zu übertreffen – z.B. bei Aktionen gegen in der BÖ RSE hungerstreikende Türken. Die wurden von Neu-Punkern und Skins wurden beschimpft, ihre Transparente angezündet, die Musikinstrumente zerschlagen.
Tja, als richtiger Punk mußte man eben gegen alles sein, also auch gegen die »Scheiß-Kanaken«! Blindes Wüten mit zugedröhnter Rübe stand auf der neuen Punk-Tagesordnung. PATTEX rules!
Endgültiger Wendepunkt war dann der Zoff nach dem WM-Endspiel Deutschland-Italien, als deutsche Fußballfans feiernde Italiener mit Steinen bewarfen. Auf deutscher Seite: »Punks«.
Den Punks, die den »großen Schwindel« angezettelt hatten, wurde allmählich klar, daß die Entwicklung zum Idioten und Fascho-Punk nicht mehr aufzuhalten war - einige »Punks« waren sogar mit NPDlern »einen trinken« gegangen.
Es war an der Zeit, die Luft aus dem aufgeblasenen Luftballon rauszulassen! Eine einfache Sache, Wuppertal nicht existierende Punk-Bewegung sterben zu lassen: Man brauchte einfach nichts zu tun und sich ein wenig von dem ganzen Rummel fernhalten. Oder gar auswandern, wie ich’s gemacht habe.
Plötzlich gab's in Wuppertal keine Festivals mehr, keine Flugblätter und Plakate für Treffen. Langeweile kehrte ein.
Das kapierten dann - glücklicherweise - auch jene, die zu keinem Zeitpunkt eine »geile Szene« gebildet hatten, sondern höchstens einen »Anarchie!« brüllenden Haufen. Sie entfernten die EXPLOITED-Aufschriften von ihren Jacken und kämmten sich die Haare wieder platt. Stiegen aus einer Sache aus, in der sie nie drin waren.
Aber auch wenn Wuppertals Punk-Bewegung nur ein aufgeblasenes Nichts war, so war sie dennoch ein interessantes Studienobjekt: Besteht eine Idee nur aus ein paar bunten Individualisten, wird sie aus gelacht und nicht ernstgenommen. Sieht das ganze jedoch plötzlich nach »Bewegung« aus, versuchen, Unzählige in ihrem Windschatten zu segeln. Was für Polizei und Justiz Anlaß zum großen Aufräumen ist.
Ist 'ne lehrreiche Sache, so ein Spielchen durchzuspielen. Laßt einfach mal euren eigenen »Schwindel« abgehen - es gibt 'ne Menge Spaß dabei!