Nr. 691

Die sterben NIE!

Markus ist 68 und wartet. Seit seinem 41. Geburtstag wartet er. Damals war sein Papa 71 und hatte den ersten Herzinfarkt. »Jetzt dauert’s nicht mehr lange«, hatte Mama gesagt. Das war vor 27 Jahren. Bald darauf hat’s sie erwischt, sie kam unters Auto.

Papa ist jetzt 98. Letzte Woche hat er sich ein Motorrad gekauft. Eine Harley.

»Wann stirbt Opa endlich?«, fragt Markus’ Tochter Sarah. Sie ist 42 und starrt in den Badezimmerspiegel. Zählt die Falten. Drei neue seit letztem Monat. Die gute Creme kann sie sich nicht leisten. Lebt noch bei Markus in der Zweizimmerwohnung. Kein Platz sonst. Keine Kohle.

»Er hat sich die neue Nano-Therapie gegönnt«, sagt Markus bitter. »30 Jahre jünger, behauptet er. Biologisch wieder 65.«

Sarah lacht hysterisch. »Ich bin 42. Und Opa sieht aus wie mein fucking Ex-Freund.«

Markus’ eigene Zähne sind gelb. Das Bleaching kann er sich nicht leisten. Die Miete frißt das halbe Grundeinkommen. Eigentum? Vergessen Sie’s. Markus’ Papa sitzt auf vier Immobilien.

Im Fernsehen läuft eine Reportage. Tod als Luxusgut. Die Reichen werden unsterblich, die Armen sterben langsamer. Bestatter spezialisieren sich - Billigsärge für die Massen, Kryonik für die Elite. »Wir haben zwei Märkte«, sagt einer. »Die, die sterben müssen, und die, die nicht sterben wollen und sich das auch leisten können.«

Markus rechnet. Wenn Papa 150 wird, ist er selbst 120. Falls er so lange durchhält. Die billigen Medikamente halten einen am Leben, aber nicht jung. Man vegetiert. Grau, faltig, müde, kein Krebs. Während die Reichen wie Papa sich Designer-Gene spritzen lassen.

Sarah scrollt auf ihrem Handy. Dating-Apps. »Scheiße«, sagt sie. »Der Typ ist 95.« Das Profilbild zeigt einen durchtrainierten Mann, aussehend wie 35. »Suche junge Frau für Familiengründung«, steht da. »Bin finanziell sehr gut aufgestellt.«

Sie wirft das Handy aufs Sofa. »Weißt du, was er gestern gesagt hat? Dein Vater? Er denkt über eine Thai-Frau nach. Mit 98! Will nochmal Kinder!«

»Ich hab einen Kumpel«, sagt Markus. »Der dealt mit … Sachen. Aus Osteuropa. Medikamente, die das Gegenteil bewirken. Schnelle Alterung. Ein paar Tropfen ins Essen …«

»Paß auf, was du sagst«, flüstert Sarah und deutet zur Decke. Überall Kameras. Gesundheitsmonitoring. Pflicht ab 60. Sie überwachen, daß du nicht auf dumme Idee kommst und Verbotenes tust.

Das Telefon klingelt. Markus’ Gesicht wird aschfahl.

»Was?«, fragt Sarah.

»Dein Opa. Er verkauft unser Haus. Also, sein Haus. Wo wir wohnen. Braucht Cash für die Telomer-Verlängerung. Wir haben drei Monate.«

Sarah lacht bitter. »Wenigstens bekommen ich die Selbstmord-Prämie, wenn du springst. 50.000 Euro. Da spart sich der Staat die Pflegekosten.«

»Danke für die Drohung. Aber damit zahlst du nicht mal zwei Jahre die Miete für ne Einzimmerwohnung.« Markus ist nicht mal sauer. Nur deprimiert.

Draußen fährt ein Krankenwagen vorbei. Aber es sind keine Kranken drin. Es sind die Jungen. Die, die sich weigern, ewig zu warten. Die springen. Aber selbst das funktioniert nicht mehr richtig. Nano-Bots reparieren Knochenbrüche in Minuten. Organe regenerieren sich. Du springst vom Hochhaus und stehst unten wieder auf. Mit Schmerzen, die nie mehr weggehen.

»Wir könnten auswandern«, flüstert Sarah. »Nach Afrika. Da stirbt man noch ganz normal.«

»Mit welchem Geld?«, fragt Markus.

Sarah geht zurück ins Bad. Starrt wieder in den Spiegel. Die Haut hängt. Die Augen sind müde. In zwanzig Jahren sieht sie aus wie ein Trümmerhaufen, während ihr Großvater mit 118 aussieht wie 40. Wenn er Kinder mit seiner Thai-Braut bekommt, erben die das meiste. Sie und ihr Vater - nur Hindernisse auf dem Weg zur Unsterblichkeit.

Das Messer liegt noch auf dem Küchentisch. So verlockend. Aber die Kameras …

Die Nachrichten verkünden stolz: Deutschland hat die höchste Lebenserwartung weltweit. 125 Jahre im Durchschnitt. Tendenz steigend. Die Wirtschaft boomt. Die Alten konsumieren wie verrückt. Reisen, Autos, neue Körper. Und Roboter produzieren von früh bis spät.

»Wir sind die Zukunft«, hatte Papa beim letzten Besuch gesagt und seine straffe Gesichtshaut gestreichelt.

Markus würgt. Sarah weint. Irgendwo in der Ferne hört man Schreie. Oder ist es Lachen? In dieser neuen Welt kann man das nicht mehr unterscheiden.

Die Kamera an der Decke blinkt rot. Gesundheitswarnung. Markus’ Blutdruck ist zu hoch. Die Versicherung wird das sehen. Nächsten Monat kostet die Krankenversicherung wieder mehr. Geld, das er nicht hat. Geld, das sein Vater für seine dritte Verjüngungskur ausgibt.

Aus dem Radio dröhnt »Forever Young«. Die Alphaville-Version. Papas Lieblingslied. Er war schon immer geschmacklos.

 

Diese Story wurde für den Song "Boomer Toomer" von THE SUBDIVISIONS geschrieben.

 

 

Die Lyrics zum Song

 

 

 

 

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