
Nelli Lotter
Meine verdammte Lebensscheiße
Allet fing an im Scheißloch Recklinghausen, im gottvadammichten Ruhrpott, wo ich '66 rausgepurzelt bin als die Nelli, die keene Sau haben wollte. Mutta war so'n blondes Schnapsluder mit Hang zum Durchknallen, wenn se wieder mal ihr Hirn mit Fuselspülung desinfiziert hatte. Der Erzeuger – pfft, welcha Erzeuger? – war 'n Phantom, 'n Schatten, 'n Furz im Wind. Hat sich verpieselt, bevor mein Strampelhirn überhaupt raffen konnt, daß es sowas wie Vattas geben soll.
Mudda hat's mir täglich in die Fresse geblasn: »Du verdammte Kröte, du hast mein Lehm versaut!« Mit fünf wußt ich, dat 'n Aschenbecher im Gesicht bedeutet: besser abhaun! Mit acht hab ick gelernt, daß man Würstchen aus'm Supermarkt unterm Shirt verstecken kann, wenn der Bauch knurrt wie 'n tollwütija Köta.
Schule? Ha-ha-haaaaa! Ba-ba-bumm! So'n Witz! Die Nelli war die mit'n dreckigen Klamotten und die, wo nie Hausaufgaben hatte, weil zu Haus nur Geschrei und Prügel auf'm Tisch standen. Hab mit zwölf die Lehrerinnen-Fotze angekotzt, die meinte, ich hätt nur Matsch inner Birne. »Hals Maul, du scheißvadammta Kluchscheißa!« Ick bin dann nich mehr hingegangen, wozu auch, um mir anzuhörn, daß aus mir eh nüscht wird, merk?
Mit dreizehn war ick mehr auf Straße als im Scheißvapißhaus vonne Mudda. Hab mich rumjetriebn, bin abgehaun nach Dortmund, dann Köln, wo ick erstma hängengeblieben bin. Domplatte war damals der heiße Scheiß, '79, '80 rum – alle Straßenköta ham sich da getroffen, Penner, Junkies, abgefuckte Asis und die ersten Punks mit ihren Sicherheitsnadeln inna Fresse. Hab da schnell gelernt, daß keena wat für umsonst gibt, besonders nich die Typen, die einem Schutz anbieten, kiek ens.
Erste Mal als so'n verschwitzta Mackermann seine Pfoten unter mein T-Shirt schieben wollte, hab ich ihm die Bierflasche an Kopp gedonnert. So läuft det nich mit Nelli, Digga! Hab mir schwören müssen: »Egal wie scheißekalt's is oder wie doll der Magen knurrt – lieba friere ick oder klaue, als daß mir irgend'n Wichsa mir an die Wäsche jeht.« Bin gut geworden im Fäuste fliegen lassen. Hab einmal 'nem besoffenen Döskopp, der meinte, mich betatschen zu können, die Fresse so umdekoriert, daß seine eigene Mudda ihn nich mehr wiedererkannt hätt, dat jibet doch nich!
Hab mir an der Domplatte 'ne eigene Sprache gebastelt ausm Ruhrpott-Gebrabbel, Kölscher Singerei und was mir sonst noch so in die Quere kam. War meine Art Schutzpanzer – Nelli mit der Kauderwelsch-Kotzsprache, die keener so rischtich einordnen konnte, wenn ick mal wieder tüddelig vom Suff war.
PUNK, BABY! DAS WAR MEINE SCHEISSVADAMMTE RETTUNG!
'81 ham die Punks mit ihren explodierten Farbfrisen mir gezeigt, daß es okay is, wenn man anders tickt. Hab gedacht: »So will ick aussehen, so will ick sein – laut, wild, gefährlich!« Bin dann nach Berlin ab, weil alle meinten, da geht die Post ab mit Kreuzberg und Straßenkampf. Berlin war der Magnet für alle Abgefuckten wie mich, wa!
Kreuzberg! SO36! Die besetzten Häuser inna Oranienstraße und übern ganzen Kiez verteilt – dit war 'n Fest, Mann! Punks, Spinner, Autonome, Anarchos – endlich 'm Haufen Bekloppte, die genauso verpeilt und wütend warn wie ick. War Familienfest für die, die keine Familie hatten. Hab mir den Schädel rasiert, nurne Strähne in der Mitte stehengelassen, erst rot, dann grün und blau, ba-ba-bumm!
Am Kotti rumgehangen, »KEINE ZUKUNFT!« gebrüllt, Mollies gebastelt und Bullen angepöbelt, bis der Tränengas die Luft verpestet hat. Warn die irrsinnigsten Jahre meines verschissenen Lebens, so voller Wut und Energie, ens hätt'ste mich sehn solln!
Bin da reingeraten in die Nazi-Scheiße, die damals auch überall rumkrebste. '85 hab ich so'ne Glatze, die am Görlitzer meinte, Punks verprügeln zu können, so dermaßen zusammengeschlagen, daß der Scheißkerl wochenlang im Krankenhaus lag. War nich meine erste Körperverletzung, die Bullen hatten dick Akte über mich. Kein Richter hat der Nelli Bewährung gegeben – Klack! – Tür zu, ab in Knast.
Sechs Monate. Gott-va-dammter-Höllenscheißdreck! Da drin bin ick zur Junkie geworden. Erst hast Schiss, mit die ganzen Spacken im Jugendknast. Dann kommt eine und bietet dir was an, damit du besser schläfst. Damit du die anderen Weiber nich mehr hörst, die nachts heulen und kreischen. Damit du dich nich erinnerst, was draußen is. Heroin! Muttergottverfluchta Höllenscheiß, war dat jut! Als ob einer endlich mal den verfickten Feueralarm in meinem Kopp ausgeknipst hat.
Als ick '87 rauskam, war ick schon total druff. Am Kotti hab ick dann gleich meine Connections wiedergefundn. '87 bis '92 wird's dann düsta im Kopfkino. Viel Scheiße passiert, viel woran ick mich nich erinnern will und kann. Weiß noch, daß ick anne Kurfürstenstraße und später am Bahnhof Zoo angeschafft hab. War nich stolz drauf, aber Junkies ham kein Stolz, nur Hunger nach dem nächsten Schuß. Drecksvafluchte Freier mit schweißnassen Griffeln und sabbernden Fressen, Zuhälta Matze mit seiner Baseballkeule, wenn ick nich genug Schotter rangeschafft hab.
'89 isses dann passiert – hab erst gedacht, mir wachsen nur die Titten wegem Älterwerden, den vieln Pizzas oder so, aber nee. Schwanger, gottvafickte Scheiße noch einmal! Wollt erst abtreiben, aber war schon zu spät als ichs gerafft hab. Bin high durch die Schwangerschaftsdings getorkelt, hab versucht, weniger zu drücken, aber... Wer will sich selbst verarschen? War zu schwach, a bisserl zu schwach halt.
Meine kleine Emma kam '90 auffe Welt, mitten im Vereinigungsgedöns. Als ob det Universum sich kaputtgelacht hat – die Mauer fällt und Nelli kriegt 'n Balg, dat kein Schwein haben will, nich mal sie selbst. Hab versucht, clean zu werden, echt. Aber wie willste aufhörn, wenns Kind nachts schreit und der Entzug dir die Haut von Knochen schält, merk?
Hab geheult wie'n Schloßhund, als se Emma mitgenommen haben. »Kindswohlgefährdung«, hat die Amtsfotze gesagt, als hätt se 'n Stock im Arsch. Meine Kleine war erst zweieinhalb, hat sich an mir festgeklammert und geschrien: »Mamaaa! Mamaaaa!« Dit war schlimma als jeda Scheißentzug. Manchma, nachts, hör icket imma noch, imma noch, imma noch... wuppdiwuppdiwohl!
'93 war mein erster Entzug, nachdem ich Emma valoren hab. Fast dran kaputtgegangen, wollt mich umbringen, mehrmals. »Nelli, kiek ens«, hat der Sozialheini gesagt, »für deine Tochter mußte clean werden, sonst siehste die nie wieder.« Hab's versucht, Gott weiß, ich hab's versucht. Aber mit jedem Jahr, wo ich nix von Emma hörte, wurd die Hoffnung klitzekleina.
Hab's dann tatsächlich irgendwie geschafft. Nicht beim ersten Mal, nicht beim zweiten, nicht beim dritten – vielleicht beim siebzehnten? Wer zählt schon mit bei so viel Versagerkram. War manchma clean für'n paar Wochen, dann Monate, dann wieder rückfällig für Tage. Wie oft ick auffem kalten Fliesenboden von irjendwelchen Sozialstationen gelegen und mir die Seele ausse Kehle gekotzt hab, hast keine Idee, Ei Gude, was war das für a Schiethimmelreich!
Weiß auch nich genau, wie ick's geschafft hab, aber '98 war ick dann richtich sauber, hab bei so 'ner Hilfseinrichtung Papiere gekriegt, Sozialhilfe beantragt, ein Zimmerchen in 'ner betreuten WG bekommen. Hab imma wieder versucht, meine Emma zu finden, aber die Behörden ham dichtgemacht. »Informationsschutz« und so'n Mist. Vielleicht war's besser so – wat hätt ich ihr schon bieten können? 'Ne Mutta mit kaputter Fresse, kaputten Zähnen und Narben übern ganzen Körpa? Denkste nich...
Hab dann verschiedene Jobs gemacht, vom Putzen bis Regale einräumen, bin rumgekommen, von Berlin nach Hamburg, sogar mal kurz im Osten. 2006 hat dann die Thea vom Schulterblatt in Hamburg mir 'n Job inne Currywurstbude gegeben, jottvadammt sei Dank! »Siehste Nelli,« hat se gesagt, »du bist zwar 'ne kaputtene Olle, aber ehrlich und pünktlich. Besser als die jungen Ludern, die jeden zweiten Tag 'ne Migräne haben, dat jibet doch nich!«
Bei Thea bin ick geblieben. Schneid Wurst auffer Maschine und kipp Soße drüber, kassier und mach große Schnauze, wenn Kiddies mir blöd kommn. Manchma, wenn so'n Mädel reinkommt, was aussieht wie ick's mir bei Emma vorstell – so Mitte dreißig jetzt – da wird mir ganz anders. Starr sie dann an wie'n Gespenst, bis se wieder weggeht, wa.
Is nich viel, aber ehrliche Arbeit, und Thea zahlt pünktlich, et kütt wie et kütt.
2011 hab ick Raffzahn gefunden, oder er mich. So'n verranzte Straßenkö̈ter, den irjendwer unter die Brücke geschmissen hatte wie 'n Stück Müll. Hat ausgesehen wie ick mich gefühlt hab, damals. Haben uns gegenseitig gewärmt, wenns doof lief. Is jetzt auch schon alt, der kromme Kläffer, aber wir humpeln noch zusammen über die Straße, wenn's plästert wie aus Kübeln.
An'nem Abend, wenn ick von der Wurstbraterei nach Haus komm, setz ick mich annen Küchentisch, wo die Plastikplatte schon abgewetzt ist von den vielen Tagen, die drüber gefegt sind. Dann hol ick mein Schreibbuch raus, ja, echt, so mit Papier und richtijen Stift. Und dann schreib ich. Schreib auf, was in meim Kopp rumspukt seit Jahren, schreib über Menschen von damals, von der Straße, ausm Puff, aussem Knast, vom Bahnhof.
Die wat ick kenn, die richtijen Menschen – nich die ausm Fernsehen oder die mittem tollen Job und 2,5 Kindern und Hund der nicht nach Pisse und Elend riecht. Sondern die, die echt sind, die kaputt sind, oder die leben wie ick. Die versteh ick. Die kenn ick. Deren Geschichten muß ich erzähln, dek, hör mir ma zu!
Schreib auch üba Emma, manchma. Geschichten, wie's gewesen wär, wenn ick sie hätt behalten können. Was aus ihr geworden is. Ob se glücklich is. Ob se weiß, daß ihre Mutta noch lebt und an sie denkt. Jeden verdammten Tag, kreisch-kreisch-kreisch!
Irjendwer muß doch bescheid wissen, wie wir so leben, wa? Und vielleicht, vielleicht liest Emma ja mal eine von meinen Geschichten. Vielleicht erkennt se ihre Mutta darin, ihre alte tüddelige Mutta.
Nelli Lotter, 59 Lenzen, Pommeswender und Geschichtenschreiberin, Hamburg, 2025



