Nr. 27

Klappe halten, is' Märchenstunde!

aus »Schlund«, 2018

Ich hatte Diana im Schanzenviertel kennengelernt, als sich nach einer Demo Staatsmacht und Schwarzgekleidete gegenseitig attackierten. Es ging um den Erhalt der Roten Flora, dem Zentrum der linksradikalen und totalemanzipatorischen Revolution in Hamburg.

Das Gebäude war vor rund 30 Jahren besetzt worden und seitdem auch überregional ein Widerstandssymbol.

Mitten im Viertel gelegen, thronte die Flora wie ein mit Orden dekorierter sowjetischer Weltkriegsgeneral über der Schanze. Bei den jährlichen Mai-Demos und Straßenfesten war sie der Anlaufpunkt für alle, die sich an Barrikadenbau, Steinwurf und Aufstandsbekämpfung üben wollten.

So auch dieses Jahr: Gallier und Römer jagten sich gegenseitig durch die Schanze, und um einer voranstürmenden Hundertschaft zu entgehen, drückte ich mich zusammen mit anderen in einen Hauseingang. Im allgemeinen Getümmel kam ich ins Stolpern, als mich von hinten zwei Arme umklammerten und Schlimmeres verhinderten. Ich drehte mich um, und das Gesicht, das mich anlächelte, gefiel mir.

Als ich Diana im folgenden Sommer beim Schanzenfest in der Menge erspähte, sprach ich sie gleich an. Einige Stunden später fanden wir uns in der Kiste wieder, und von nun an verbrachten wir gelegentlich Zeit miteinander. Wir waren nicht ineinander verliebt, aber sexuell kompatibel. Halbwegs.

Sie war ein Dutzend Jahre jünger als ich, ihre Haut mit Tätowierungen übersät. Das fand ich weder gut noch schlecht. Ich mochte es einfach, wenn sie neben mir lag.

Der Sex mit ihr gab mir nichts, gehörte aber dazu. Männer und Frauen sollten es miteinander treiben, das steht sogar in der Bibel, hatte ich konstatiert. Also tat ich, was zu tun war.

Diana und ich hatten soeben eine Ladung Spaghetti mit Tomatensoße intus und uns auf dem Hochbett eingemümmelt. Wir verfolgten das Rumoren in unseren Bäuchen, als sie einen Einfall hatte.

»Los, erzähl ein Punk-Märchen! Ich mag die. Da weiß man nie so richtig, was wahr ist und was du hinzuerfunden hast.«

Ok, kein Problem. Ich erzählte gerne Geschichten und mochte den Klang meiner Stimme, wenn ich wie ein Luis Trenker für Punks Anekdoten zum Besten gab. Als Kind hatte ich den Kerl gehasst, seine Fernsehsendungen, das Dialektgelaber über die Dolomiten und die schöne Heimat, die Berge, den Schnee. Mittlerweile war ich selbst ein Dampfplauderer, also legte ich los.

»Es war einmal ein Schanzenfest …«, begann ich.

 

Ich ging nur noch selten auf Demos. Gewalt und Menschenmassen fühlten sich nur in Kino, Fernsehen und in trashigen Geschichten gut an. Aus sicherer Entfernung, mit Chipstüte in der Hand statt Stein in der Fresse.

Doch wie das mit Prinzipien ist – gelegentlich muss man sie brechen, um sich selbst Regellosigkeit zu beweisen. Und heute wollte ich schwarzgekleidete Gestalten hektisch durch die Gegend rennen sehen. Wasserwerfer, die das Böse aus den Köpfen herausspritzen. Und die Armee Uniformierter, die für Recht und Ordnung sorgt.

Genau das stand jedes Jahr beim Hamburger Schanzenfest auf dem Spielplan. Das dabei aufgeführte Theaterstück gab es in vielen verschiedenen Varianten. Aber ganz egal, ob die Cops auf Jean-Claude van Damme oder Nelson Mandela machten, am Ende musste sich die örtliche Filiale der Hamburger Sparkasse neu verglasen lassen. Ein unvermeidliches Ritual, eine Pflicht, die Haspa zu zerlegen.

Es war nicht abzusehen, was diesmal passieren würde. Es dämmerte, die Händler hatten ihre Stände abgebaut, aus herumliegendem Müll wurden erste Feuer entzündet. Uniformierte ließen sich nicht blicken. Anscheinend wollte man es zur Abwechslung mit Deeskalation versuchen. Wenn es trotzdem krachte, hatten Politik und Polizei im kommenden Jahr stichhaltige Argumente für ein hartes Besatzerregiment.

Ich hatte mir gerade eine miese Currywurst mit Pommes reingedrückt, als sich die Zündler daranmachten, ihre Feuerchen zu echten Bränden aufzurüsten. Mitten auf der Straße loderten die Flammen meterhoch in den Himmel. Von den Cops keine Spur.

Das konnte der Mob nicht auf sich sitzen lassen, nun war die Haspa fällig. Ein bizarres Bild: Schwarzgekleidete Gestalten standen am Geldautomaten Schlange und zapften Kohle, und bald darauf später attackierten die gleichen Schwarzkittel die Bank! Nur dass sie jetzt Sturmhauben übergezogen hatten.

In früheren Jahren hatte die Sparkasse meist innerhalb weniger Minuten alle viere von sich gestreckt; gegen die regelmäßige Entglasung und Verwüstung der Bank schien kein Kraut gewachsen.

Bis heute: Die Filialleitung hatte dazugelernt und metallene Rollläden vor die Schaufenster gezogen. Und die waren partout nicht zu knacken. Nicht durch Steine und auch nicht mit Eisenstangen. Die Schwarzblöckler ackerten, wuchteten, warfen und schwitzten, doch nichts half. Kein Rütteln und Schütteln, kein Anlauf mit sportiver Sprung-Fußtritt-Kombi zum Abschluss – keiner kam durch!

So leicht wollte sich die Revolution allerdings nicht geschlagen geben. Ein paar Übereifrige holten brennendes Holz aus dem Feuer und errichteten im Eingangsbereich der Haspa einen Scheiterhaufen. Sie versuchten, die Bank in Brand zu setzen. Obwohl nicht auszuschließen war, dass sich noch jemand im Haus aufhielt. Macht nichts: Im Fall der Fälle hätten eben ›Provokateure‹ das Grillfest veranstaltet. Die konnte man bei schlechter Presse immer aus der Tasche ziehen.

Innerhalb von drei Minuten tauchten die Schweinebullen auf und traten das Feuer aus.

»Ganz Hamburg hasst die Polizei«, schrien die unterdrückten Pyromanen und weinten bitterlich.

Seltsam? Aber so steht es geschrieben!

 

Diana hatte mir schweigend zugehört und währenddessen begonnen, mit meinem Schwanz zu spielen. Ich fürchtete, nun hart rangenommen zu werden, was ich für keine gute Idee hielt. Eine Riesenportion Nudeln mit Soße, später ’ne Schoko, dann anstrengender Sex, das konnte das Ende der Pumpe bedeuten. Ich war doch keine zwanzig mehr.

»Ist die Geschichte wahr? Oder ausgedacht?«, fragte sie.

»Verrate ich nicht.« Ich entspannte mich und genoss die Berührungen ihrer Hand.

»Kam irgendwie zynisch rüber. Als ob du dich über die Leute amüsierst, die keinen Bock auf Bullen haben.«

»Vielleicht tue ich das ja.«

»Solltest du aber nicht!« Diana lachte und schlug mit ihrer flachen Hand auf meinen Oberschenkel.

»HEY! Das tut WEH!«

»Soll es auch. Komm, sag, dass es dir gefällt!«

»Quatsch! Ich bin doch kein …«

Im selben Augenblick klingelte das iPhone. Ich ging ran.

»Jawoll!«

Kurze Pause, dann erklang eine mir unbekannte Stimme.

»Nagel? Bist du’s?«

»Klar doch. Wer ist dran?«

»Paulski. Weißt du noch, wer ich bin?«

»Schwache Ahnung, schwache Ahnung …«

Ich buddelte in Erinnerungen … da war was! Diana nahm währenddessen meinen Schwanz in den Mund, was die Sache nicht erleichterte.

»Ist lange her, zwanzig Jahre oder so«, fuhr die Stimme namens Paulski fort. »Bei den Chaostagen. Ich habe bei dir übernachtet.«

»Mann, ja!« Der Groschen fiel. »Du hast damals den übelsten Schiss aller Zeiten in meine Schüssel gedonnert!«

»Genau der.« Seine Stimme klang erleichtert. »Ich rufe dich an, weil ich Hilfe brauche. Deine Nummer habe ich von Joachim. Ich hoffe, das ist ok so.«

»Kein Problem. Was gibt’s?«

»Du hast doch bestimmt von der Hogesa-Demo in Köln gehört, oder?«

Hatte ich. Internet, Zeitungen, Fernsehen, alle hyperventilierten darüber. »Hooligans gegen Salafisten. Homophobe gegen Schwulenhasser«, klärte ich Paulski über meine Kenntnisse auf. »Und die Bullen haben ordentlich draufgekriegt.«

Das angenehme Gefühl zwischen den Beinen endete jäh. Dianas Kopf bewegte sich weg von meinem Unterleib, hin zum Handy. Sie wollte mithören. Ich schaltete auf Freisprechen.

»Red keinen Scheiß! Ich war da! In Köln!«, bellte Paulskis Stimme aus dem iPhone.

»Wie kommst du denn auf so eine bescheuerte Idee? Was hast du bei den Hools zu suchen?«

»Weil alle die Fresse halten, wenn es gegen Salafisten geht. Nur die Hools nicht. Und irgendwer muss ja was machen.«

»Und dann hängst du da mit Nazis rum, oder was?«

»Quatsch. Wir waren 4000, davon höchstens 200 Nazis. SS-Siggi und seine Leute, weißt schon. Die hatten aber wenig Freunde. Die meisten Hools wollen mit Politik nichts zu tun haben.«

»Ausländern auf die Fresse geben, ist völlig unpolitisch, genau! In Köln war Kanakenjagd angesagt, habe ich gelesen.«

»Komplett erstunken und erlogen. Bei den Hools waren total viele Kurden und andere Ausländer dabei. Typische Kanakenjäger also. Und glaubst du nicht, Köln hätte anders ausgesehen, wenn sich 4000 Hooligans einmal durch die Stadt gefräst hätten? Von den 50 kaputtgegangenen Bullen sind die meisten in ihr eigenes Pfefferspray gelaufen!«

Ja, das kannte ich. Immer schön in den Medien die Zahl der verletzten Cops aufblasen, um die Brutalität der Chaoten zu unterstreichen.

»Und warum hat es geknallt, wenn ihr friedlich wart?«

»Die Bullen haben einen ganzen Trupp Antifas durchgelassen. Die haben uns mit Flaschen und Steinen beworfen. Ist doch klar, dass man sich das nicht gefallen lässt, oder? Wir sind keine Blumenkinder!«

Was Paulski da schilderte, konnte ich mir gut vorstellen. Und am Ende wollte es niemand gewesen sein. Unschuldige Opfer überall. Die einen fühlten sich ungerecht verfolgt, die anderen redeten ihren Albtraum von der Wiederkehr brauner Sturmtruppen herbei, um sagen zu können: »Wir haben euch immer gewarnt, aber niemand hat auf uns gehört!« Und die Bürger hatten schlicht Angst um ihre Autos.

»Und was willst du nun ausgerechnet von mir?«, beendete ich unser Ping-Pong. »Was soll ich tun?«

»Na – schreib die Wahrheit! Auf deiner Facebook-Seite, die hat doch ein paar tausend Follower. Und deinen Blog lesen auch viele. So was hast du früher schon gemacht.«

»Und ich werd’s nicht wieder tun. Als ich mich damals mit Jürgen Eidelhoff getroffen habe und darüber schrieb, wollte mir die Antifa die Bude zerlegen. Das hätte böse ins Auge gehen können, fast hätte ich Hamburg verlassen müssen. «

Nun schaute mich Diana entsetzt an. Diese Geschichte war ihr neu, und sie klang nicht nach einem meiner Punk-Märchen.

»Na, da haben sie dich aber schön umerzogen.« Paulski war enttäuscht, das hörte ich deutlich raus. »Ich dachte, du bist unabhängig.«

»Bin ich immer noch. Aber die Sache mit Eidelhoff liegt jetzt zwölf Jahre zurück, bis heute scheißen mich deswegen irgendwelche Automaten an. Und vergiss nicht, ich habe ’ne Tochter. Die Zeiten, in denen ich mich auf Kleinkriege eingelassen habe, sind vorbei.«

»Sülz, laber, fasel, blubb!« Paulski steuerte auf den Höhepunkt zu. »Du hast einfach kein Rückgrat mehr! Vergiss, dass ich dich angerufen habe, du Lutscher!«

Diana hatte genug. Sie riss mir das iPhone aus der Hand. »Halt’s Maul, du Scheiß Nazi! Verpiss dich!«, keifte sie hinein und legte auf.

Die Fragezeichen in ihrem Gesicht waren unübersehbar.

»Was hast du mit Jürgen Eidelhoff zu schaffen? Der ist 1. Nazi-Reichsliga!«

Oje. Das würde jetzt schwierig.

»Nichts. Ich wollte nur aus erster Hand wissen, wie der tickt. Antifa-Flyern kann man nicht immer trauen.«

Mancheiner nahm es im »Kampf gegen die Nazi-Brut« mit der Wahrheit halt nicht so genau. Die Braunen hatten eh massig Dreck am Stecken, da konnte man ruhig ’ne Schippe drauflegen, um auch den allerletzten Ignoranten aus seiner Lethargie zu reißen.

»Aber warum hast du dem Eidelhoff nicht auf die Fresse gegeben? Ich hätte da nicht stillsitzen können.«

»War ein interessantes Gespräch. Und außerdem hat er mir in einer Fernfahrerraststätte einen Strammen Max mit Cola ausgegeben. So einen spendablen Nazi schlägt man nicht, oder?«

Diana ließ hörbar die Luft aus dem Ballon, sie lachte. Und vermutete wohl, ich würde ihr wieder ein Punk-Märchen auftischen.

»Pass auf, jetzt habe ich mal was!«, sagte sie und kletterte das Hochbett hinab. Eine Minute später war sie zurück und entfaltete einen Zettel.

»Mein erster Songtext auf Deutsch. Du motzt doch immer, dass wir nur englische Texte haben.«

Das stimmte. Diana sang bei Eating Minds gegen Tierversuche und über all das Zeugs, das sonst in Punkbands angesagt war. Nur verstehen konnte man kaum ein Wort davon, wenn sie und die Band ihre Botschaft über miese Anlagen ins Publikum bratzten.

Ich las ihren Songtext. Dann drehte ich mich zur Seite und griff in die Süßigkeitenbox am Bettrand.

»Da, ein Negerkuss! Damit du weißt, dass ich’s nicht böse meine.«

Eine Sekunde später lag die Leckerei plattgedrückt im Bett. Diana hatte nicht lange gefackelt und mir das Ding aus der Hand geschlagen.

»Spar dir das rassistische Gelaber, komm zur Sache!« Diana war sauer.

»Ich komm damit nicht klar«, setzte ich an und wedelte mit ihrem Songtext. »Was du da schreibst … ›wir hetzen die Nazis durch die Stadt‹ … ›der braune Dreck muss weg‹ … und so weiter. Merkst du nicht, dass du Phrasen schwingst und die Sprache deiner Gegner übernimmst? Lies mal Nazi-Texte! Die leiden auch unter ständigem Putzfimmel und stehen aufs ganz große Säubern! Und auf Hetzjagden quer durch die City.«

Nun hatte Diana Tränen in den Augen. Aber ich war noch nicht fertig. »Glaub es mir oder auch nicht, aber selbst dem Eidelhoff geht mittlerweile das Reinemach-Gelaber der eigenen Leute auf den Sack. Und dann kommst du mit so was. Du verbesserst die Welt nicht mit deinem Text, du machst sie schlechter!«

Diana riss mir den Zettel aus der Hand.

»Hörst du dir mal selbst zu? Du hast Verständnis für Bullen, diskutierst mit Nazis, erzählt was von Negern, und meinen Text hältst du für Mist«, sagte sie. »Wo stehst du eigentlich?«

»In deiner Hand stand vorhin was.«

Diana packte ihre Sachen und verschwand.

Ich lag mit heruntergelassener Hose im Bett und verstand, dass Ehrlichkeit und ein entwickelter Gerechtigkeitssinn einem guten Abgang im Wege standen.

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