Nr. 50

Ich liebte ein Arschloch

aus »Schlund«, 2018

Ein normal entwickeltes Kind sollte spätestens mit drei Jahren wissen, wo der Weg zum Töpfchen ist und seinen Schließmuskel beherrschen. So in den beschissenen 60ern die gängige Meinung und für mich kein Problem. Dennoch versenkte ich bis elf oder zwölf ich ab und zu eine braune Ladung in die Unterhose.

Nicht aus Absicht, nicht aus Protest, nicht im Schlaf, und ich litt auch an keiner mysteriösen Arschkrankheit. Es war die Mischung aus Lust und Wettrennen, die mich begeisterte.

Da war diese unerklärliche, aber fesselnde und kaum zu ertragende Spannung, die mich von Kopf bis Fuß schüttelte, wenn der Druck im Hintern zu steigen begann. Wenn der Atem schwer wurde, die Augen nass und wohlige Schauer durch den Körper rasten.

Ich gab mein Bestes, diesen Segelflug von Lummerland nach Titiwu in die Länge zu ziehen, was aber nur funktionierte, wenn ich den Druck aufrechterhielt.

Also: Vooorsichtig pressen und darauf achten, dass die Wurst nicht zu flott ihren Weg ins Freie fand! Wo ihr die Unterhose den Weg versperrte.

Sobald ich merkte, dass ich den Kampf gegen das nach draußen drängende Braun zu verlieren drohte, ging es in Windeseile zur Toilette. Wenn denn eine in der Nähe war.

Meistens gewann ich diesen Wettlauf, manchmal nicht.

Peinlich, die widerlichen Bremsstreifen! Dass meine Mutter das bloß nicht mitkriegt! Aber spätestens bei der Großen Wäsche kommt’s raus, keine Chance.

Die Unterhose musste weg! Ich hielt es für eine blendende Idee, sie über den Balkon auf das Flachdach der Fabrikruine nebenan zu werfen. Das würde garantiert keiner mitkriegen.

Dieses halbzerstörte und schaurige Gemäuer hatte ich mir bereits eine Weile vorher genauer angeschaut.

An dem zwei Meter hohen Bretterzaun, der die Ruine und das Gelände davor von der Berliner Straße abschirmte, hing ein Schild mit der Aufschrift BETRETEN VERBOTEN! ELTERN HAFTEN FÜR IHRE KINDER! Eine echte Drohung – HAFT! Meine Eltern würden wegen mir INS GEFÄNGNIS gehen! Doch die Neugier siegte.

Der Zaun war schnell überwunden, und ich machte mich auf die Suche nach vergrabenen Schätzen oder anderen Kostbarkeiten. Vielleicht hatte ja vor Ewigkeiten ein Junge wie ich hier seine Comicsammlung vor der Wegwerfwut der Eltern in Sicherheit gebracht – und war dann gestorben! Was würde ich finden? Fix und Foxi Nummer 1?

Stundenlang durchwühlte ich Unmengen Schutt, das ganze Gelände war damit meterhoch bedeckt. Aber abgesehen von einigen halbgefüllten, eingetrockneten Farbeimern gab es keine Beute zu machen. Nur eine Kiste mit Metallstreifen, die mir auf unerklärliche Weise wertvoll erschien und somit ein Schatz sein musste, der dort seit Ewigkeiten lagerte.

Ich wähnte die vollgeschissenen Unterhosen also an einem sicheren Ort. Meiner Mutter hingegen bereitete der unerklärliche Schwund echtes Kopfzerbrechen.

Bis ich dann eines Tages ein unappetitliches Exemplar des entsorgt geglaubten Feinripps an der Spitze des Christbaums entdeckte. Ich wurde zum Gespött der versammelten Weihnachtsgäste, worauf ich mit hochrotem Kopf ins Kinderzimmer rannte.

Sie waren mir auf die Schliche gekommen, verdammt!

An meinen analerotischen Freuden änderte das nichts. Auch nicht die zündende Idee meiner Mutter, eine der vollgebratzten Unterhosen auf die Wäscheleine des Balkons zu hängen. Alle Nachbarn und Freunde konnten die Beweisstücke sehen.

»Das kann auch eine Unterhose von Anne-Marie sein. Weiß doch keiner«, erklärte ich achselzuckend.

Zuletzt versuchten es meine Eltern mit der Behauptung, die Hosenscheißerei brächte mir die Lepra ein. Eine Horrorvorstellung, denn kurz zuvor hatte ich Der Tiger von Eschnapur im Fernsehen gesehen.

Der Anblick kreischender Leprakranker, die wie Monster am Filmhelden herumzerrten, war nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Der Gedanke, dank meines Arschlochs bei lebendigem Leibe zu verfaulen, jagte mir eine Heidenangst ein. Wann würden mir die Finger oder ein Arm abfallen? Würde man mich auf eine Insel für Aussätzige verbannen? Allein, von allen verlassen?

Jahrelang erzählte meine Mutter die Geschichte, dass genau das die entscheidende Wende war. Ok, ich hatte mich von nun an besser unter Kontrolle, wollte nicht als Aussätziger enden, das stimmt. Aber ganz konnte ich nicht von der Kacklust lassen.

Erst einige Jahre später machte ein Kinobesuch mit Olaf Fickler dem ein Ende (Olaf verband übrigens nichts mit Adolf, wie ich mittlerweile wusste!). Mitten im Film – wir sahen einen Godzilla-Film – überkam mich der wohlbekannte Höllendruck in den Eingeweiden, und statt mit einem Eis versüßte ich mir das Kinoabenteuer mit einem Arschorgasmus. Der blieb zwar unbemerkt, nicht aber die ausströmenden Gerüche.

Nach einer Weile verabschiedete sich Olaf, obwohl der Film noch nicht zu Ende war. Da er auch in der Zeit danach meine Nähe mied, war unsere Freundschaft damit beendet.

Ich wusste, dass ich etwas ändern musste. Schweren Herzens kündigte ich die Beziehung zu meinem Arschloch und suchte andere Gelegenheiten, erotischen Gefühlen Raum zu geben.

 

Meine erste heiße Kinderliebe hieß Heike Müller und wohnte im Nachbarhaus. Sie hatte lange, braune Haare und war das schönste und aufregendste Mädchen von allen. Wenn sie mich herzallerliebst anlächelte, wurde ich zum Wackelpeter.

Einmal spielten wir Indianer, und als Heike da mit einer Feder geschmückt mit mir allein im Indianerzelt saß, ergriff ich die Gelegenheit und küsste sie. Ich wollte sie heiraten, daran gab es keinen Zweifel!

Eines Tages tauchte ein älterer Nachbarsjunge auf dem Hinterhof des Klotzes auf. Er war elf oder zwölf, was für uns Halbwüchsige GROSS war! Wir nannten ihn Gurgelhals, nach dem bösen Zauberer, der in Fix und Foxi die Schlümpfe jagte und tyrannisierte. Wenn Gurgelhals in unser Schlumpfdorf kam, regierten Terror und Gewalt.

Einmal hatte er mich auf dem Kieker und wollte sein Mütchen an mir kühlen. Die anderen in sicherem Abstand, keiner hatte Lust auf eine Abreibung.

»Los, alle mitmachen!«, brüllte Gurgelhals und fuchtelte mit einem Zweig herum. Trat mir in den Hintern, schrie: »Das hast du verdient, du bist blöd!«. Seine Stimme klang im Hall der überdachten Einfahrt wie die eines Monsters.

Dann zog mir Gurgelhals den Zweig wie eine Peitsche durchs Gesicht.

Ich heulte Rotz und Wasser. Scheiße, tat das weh in den Augen! Ich blickte mich um, alles war verschwommen. Werde ich jetzt blind?

Wie durch den Nebel erkannte ich Heike vor mir. Sie lachte. Und machte mit, schlug zu. Mit der flachen Hand in mein Gesicht.

Das werde ich ihr nie vergessen. NIE!, schwor ich.

Ich machte, dass ich davonkam. Trotz Milchglasblick muss es mir gelungen sein, meinen Folterknechten zu entkommen. Nur schnell die Treppen rauf, nach Hause!

Und da hing mein Vater auf dem Sofa, eine Flasche Wicküler auf dem Tisch. Er war nicht zur Arbeit gegangen und hatte sich wegen irgendeiner Malaise krankschreiben lassen. Das kam immer häufiger vor.

»Was machst du denn hier? Geh spielen!«, kommentierte er mein verheultes Gesicht.

Ich erzählte ihm, was passiert war. Mein Vater stand wutentbrannt vom Sofa auf, tankte nach und nahm eine Zigarette aus der HB-Packung. Zündete sie an. Dass der eigene Sohn von einem Älteren verkloppt wurde, das kam nicht in die Tüte!

Stramm wie er war, die brennende Kippe im Mund, torkelte mein Vater die Treppen hinab und erwischte Gurgelhals in just dem Moment, als der sich vom Acker machen wollte.

»Hau bloß ab, sonst setzt’s was«, pflaumte er den kleinen Schläger an. »Wenn ich dich hier noch EINMAL erwische …!«

Und hob die Hand zur vertrauten Prügelgeste.

Gurgelhals rannte davon; die Spielkameraden hatten sich schon vorher verpisst. Konnte mich eben auf niemanden verlassen. Nur auf meinen Vater ausnahmsweise.

Meine Ex-Liebe zog ein Jahr später in einen anderen Stadtteil, aber drauf geschissen. Sie war ein Arschloch. Aber nicht mein Arschloch!

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