Nr. 30

Hübscher Typ

aus »Schlund«, 2018

Ich kannte Wojinski seit ’88. Ausm Krieg und so. Damals war er ein echtes Punk-Kiddie, das sich mächtig anstrengte, als harter Kerl durchzugehen und die Fahne hochzuhalten. Punk war auf einem Tiefpunkt und die paar übriggebliebenen Gestalten wurden als »Dummpunks« belächelt, abgekürzt DuPus. Viele Musiker und Macher hatten der Szene den Rücken gekehrt und schworen nun auf Hardcore, D.I.Y. und Straight Edge. Simpel gespielter Punkrock war von gestern, Bands, die ihre Instrumente beherrschten, angesagt.

In diesen Umbruchszeiten spielte ich mit meiner damaligen Band Clear Yourself in einem miesen Schuppen in der Umgebung von Hannover. Schneller, gekonnter Hardcore, genau, und die blondierten Haare schlabberten bereits verdächtig lang bis zu den Schultern. Wir tranken Orangensaft und hielten uns für die die Kings.

Die Leute – es waren viele Punks im Publikum – fanden Clear Yourself Scheiße. Wojinski hatte von allen das größte Maul und warf mit Bierdosen. Er hatte längst seinen Stil gefunden: als lautstarker Ritter der Faust. Er prügelte sich mit Nazis, aber jagte ebenso Autonome durchs Viertel, wenn die mal wieder auf dem Reinemachtrip waren und seine Punk-Freunde aus Wohnprojekten oder Kneipen warfen. Das war für ihn alternativlos.

Weil Wojinski wie ich vor über zwanzig Jahren nach Hamburg gezogen war, liefen wir uns gelegentlich über den Weg. So auch an einem Samstagnachmittag im vergangenen Juni.

Sturzbesoffen schob er sich durch die Menge, die während des Hafengeburtstags gegenüber vom Onkel Otto bei einem Open-Air-Konzert abhing. Raffael erzählte mir gerade, wie es nach dem Umzug in Berlin so lief, als Wojinski vor uns stehenblieb. Er hob mit der einen Hand die Flasche, mit der anderen formte er einen Schnatterkopf, der auf- und zuklappte. Murmelte »Schwätzer …« und unterstrich seine Verachtung mit einem eindeutigen Gesichtsausdruck, den er wohl aus dem Punk-Bilderbuch abgeschaut hatte.

»Ich weiß«, sagte ich. »Reden ist für Hippies. Lieber vollbrett auf die Schnauze.«

Wojinski grunzte, wischte abschätzig mit der Hand und verschwand in der Menge.

Gegen Mitternacht machte ich mich auf den Heimweg. Dabei war mir Elfie über den Weg gelaufen, und nun fabulierten wir über knirschende Gelenke. Vorbei nicht nur die Zeiten, in denen wir als mächtige Punkrocker Eltern, Pädagogen, Politiker und Journalisten empört und in Angst und Schrecken versetzt hatten – jetzt konnten wir nicht mal mehr stundenlang auf dem Boden sitzen! Nach dem Aufstehen dauerte es mindestens fünf Minuten, um wieder einigermaßen rundzulaufen.

Wir gingen an einer Reihe Schwarzafrikaner vorbei, die an Ecken und in Hauseingängen rumlungerten. Keine Konzertbesucher, sondern tägliches Drogenbusiness.

Dann taumelte uns Wojinski entgegen. Es sah aus wie ein eigenwilliger Tanz: wackelnder Kopf, zappelnde Arme und eine Hüfte, die wie auf Glatteis balancierte. Kein bisschen Ali Shuffle, nur ultrabunte Augsburger Puppenkiste.

Wojinski erblickte uns erst, als er an uns vorbeifloss.

»Hey, Nagel«, sagte er, hielt an und klatschte mitten in einer alkoholgetränkten Pirouette einen der Dealer mit der flachen Hand ab.

»Weißt du, warum ich dem hier die Pfote gebe? Warum ich jedem von denen die Hand gebe?«

»Nee, weiß ich nicht.«

»Weil sie keinen deutschen Pass haben!«

»Alles klar«, sagte ich. »Wer keinen deutschen Pass hat, is ’n Super Typ! Hört sich für mich nach ’ner schlanken Logik an. Bist Du jetzt Rassist oder so?«

Wojinski verzog sein verquollenes Gesicht zu einer Mischung aus Hefeteig und Muppets-Figur. Er begann zu pendeln, streckte sich durch und ertanzte ein bisschen besoffene Männlichkeit. Brust raus, Schultern nach hinten, die Fäuste geballt.

»Kannst froh sein, dass du das bist, sonst würde ich dir für den Spruch aufs Maul geben!«

»Ja. Ich bin ein Nichts. Ein Witz. Ein unwürdiger Idiot.«

»Sind wir alle, sind wir alle«, antwortete Wojinski, und ich staunte über diesen Moment der Erkenntnis.

Wojinski trollte sich in die Nacht, während wir unseren Weg Richtung S-Bahn fortsetzten.

»Der war echt mal ein hübscher Typ«, sagte Elfie.

Das stimmte. Er sah aus wie ein Halbbruder von Brad Pitt, das schwarze Schaf der Familie, doch das hörte Wojinski nicht gerne. Er wollte kein Schönling sein, kein Angepasster, kein Weichei, sondern ein kompromissloser, harter Kerl. Für ihn symbolisierte sich Punk als knallbunte Faust, die er sich auf den Oberarm hatte tätowieren lassen. Tief im Herzen glaubte er, dass es kein Problem gab, das er nicht mit ein paar gezielten Faustschlägen lösen konnte.

Am liebsten schlug sich Wojinski ins eigene Gesicht – eine schlechte Angewohnheit, die er seit Jahren pflegte, und man sah’s. Nicht nur Suff, Drogen und Schlägereien hatten Spuren hinterlassen, sondern ebenso Stürze, Unfälle und miese Ernährung.

An der S-Bahn-Station Reeperbahn trennten sich unsere Wege. Elfie stieg die Treppe hinunter zu den Gleisen, während ich Pizza Hut ansteuerte.

Zeit für ein paar Schläge in den Magen. Jeder vernichtet sich so gut er kann.

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