Nr. 28

Der Führer und ich

aus »Schlund«, 2018

Anfang der 70er hatte ich in der Leihbücherei bemerkt, dass viele Regale mit Schwarten zur deutschen Geschichte gut gefüllt waren – und speziell der zwischen 33 und 45. Das schien noch mehr herzugeben als Perry Rhodan – mit dem Unterschied, dass diese Bücher Tatsachen schilderten! Die Wahrheit. Und sie spielten nicht irgendwo im Universum, sondern hier in Deutschland!

Die besten waren die, in denen ein Mann mit Bärtchen auftauchte. Adolf Hitler ließ mich von Anfang an nicht kalt.

Ich hatte ihn zum ersten Mal bei Oma im Fernsehen entdeckt. Ein interessanter Kerl, ständig unterwegs auf irgendwelchen obskuren »Feldzügen« – ich mochte das Wort! Dazu brüllte er verworrenes Zeugs.

Als ich Oma erzählte, dass in meiner Klasse einer mit genau so einem Namen säße, schüttelte sie den Kopf. Sie glaubte mir kein Wort.

»Doch«, belehrte ich sie, »der heißt Olaf Fickler, das weiß ich genau! So wie der Mann mit dem Schnauzer und dem Seitenscheitel! Der mit den Feldzügen.«

Und nun: Schon wieder dieser Hitler! War er wirklich böse? Dracula und Frankensteins Monster galten auch als Unholde, na und?

Auf jeden Fall hatte Adolf ’ne ganz schöne Schramme (wie etwa der Joker oder Dr. Doom!) – er war angeblich verrückt, ein Wahnsinniger. Sonst hätte er das mit den Juden nicht angefangen und den Amis und Russen nicht den Krieg erklärt. Dann wäre Deutschland als Sieger aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen. Die Wehrmacht hatte Polen in drei Wochen plattgemacht – dagegen brauchte die ganze Welt sechs Jahre, um uns niederzuringen! Kampfgeist und Fairness des deutschen Landsers (also der Deutschen allgemein!) wurden weltweit geschätzt, deutscher Erfindergeist hatte die Welt geprägt. Was sich im Fußball fortsetzte: Müller, Beckenbauer, Seeler! Soweit die Ansichten meines Vaters, dem ich ausnahmsweise mit Interesse lauschte.

Auch Oma wusste Gutes von den Nazis zu berichten: Abgesehen davon, dass sie die NSDAP 1933 ärgerlicherweise gewählt hatte (»Wir hatten ja keine Ahnung, wie das enden würde!«), erzählte sie von einem Brief, adressiert an Hitler höchstpersönlich.

Oha! Oma und der Führer!

Nein, sie hatte ihm keinen Liebesbrief geschrieben – sondern ihr Leid geklagt. Über ihren Vermieter, der sie mit Kind und Kegel vor die Tür setzen wollte, obwohl Opa an der Ostfront treu seinen Dienst fürs Vaterland leistete. Das schien ihr nicht gerecht, also bat sie um Hilfe.

Adolf Hitler antwortete nicht persönlich, aber die Partei half prompt und klärte das Ganze im Sinne von Oma. Der Vermieter machte keinen Ärger mehr. Mein damals sechsjähriger Vater schiss ihm zur Strafe trotzdem auf die Türklinke – Freunde hatten ihn für die Kackaktion hochgehoben. Folglich besaß der Führer auch die eine oder andere gute Seite, dazu benötigte es nicht der Erwähnung der Autobahnen.

Nicht dass Oma jemals rechtsradikale Ansichten vertreten hätte, Politik interessierte sie nicht. Aber bis zu ihrem Tod im Alter von 91 Jahren bewahrte sie vergraben in einer Kiste ein Originalfoto des Führers auf.

Ich musste nicht darauf warten, Omas Hitlerfoto zu erben. Denn ich besaß eigene Abbildungen des Führers, und zwar in meiner Briefmarkensammlung! Das Sammelgebiet »Drittes Reich« gab einiges her, ich sackte in Freundeskreis und Schule ein, was es zu erbeuten gab. Hitler und Hakenkreuze gegen Buntes aus Übersee, gerne auch Tiermarken – ein guter Tausch für alle!

Das Album mit den ungestempelten Marken morgens in die Schultasche, gut gerüstet zum Angriff auf das Nervenkostüm meiner Umwelt. Der Feldzug quer durch Oberbarmen kann beginnen, die gummierten Dinger sind mein Artilleriegeschütz. Lage peilen – lecken – Hakenkreuzmarke an die Wand drücken – unauffällig weitergehen! Und schauen, wer stehenbleibt. Erquickend, wenn in der Schule die Lehrer aufgeregt durch die Gegend laufen! Ja … Hitler ist GEFÄHRLICH!

Weil ich gerne einen derart bleibenden Eindruck hinterlassen hätte, wurde ich zum glühenden Anhänger typisch deutscher Tugenden wie Entschlusskraft, Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Perfektion. Gegen spezielle Völker und Rassen hatte ich nichts. Wir waren alle Menschen.

Das passte auch gut zu Perry Rhodan. Anders ließ sich ja so ein Weltraumkrieg der vereinten Terraner gegen feindliche Außerirdische auch nicht gewinnen, oder?

An der deutschen Ordnung haperte es allerdings. Ich fühlte mich ganz wohl im Chaos. Was nichts an meinen Kriegsplänen änderte.

Wofür Butterbrotpapier doch alles gut ist! Nee, ich pause keine Comic-Titelbilder mehr durch – jetzt geht es an die Front! Denn ICH bin der Führer und erstelle genaue Karten und Pläne zur Unterwerfung aller Feinde!

Aber ich bin nicht so bescheuert wie Hitler! Ich bringe keine Juden um, sondern mache sie zu Deutschlands Freunden, und zusammen eroberen wir die Welt! Dank meiner strategischen Fähigkeiten kein Problem. ATTACKE!

Unmengen Revell-Soldaten und Plastikpanzer wurden in die Schlacht geworfen, Kampf um Kampf gewonnen, die deutschen und jüdischen Armeen auf einem endlosen Siegeszug!

Mein Führerhauptquartier hatte ich im Keller errichtet, Pläne, Waffen und Karten ausgebreitet auf einer Tischtennisplatte. Die hatte ein Nachbar vor kurzem aufgestellt, um mit der Familie den einen oder anderen Sonntagnachmittag die Schläger zu schwingen.

Taugt aber auch klasse als Ostfront.

Welch freudige Überraschung, als ich eines Tages den Völkischen Beobachter am Kiosk entdeckte! Leider gab’s Hitlers Parteizeitung nur als Nachdruck auf unangenehm glattem Papier. Trotzdem wurden Fliegeralarm und am Haus vorbeimarschierende Truppen in meiner Vorstellung quicklebendig, wenn ich es mir mit dem VB auf dem Wohnzimmersofa gemütlich machte.

Leider erschien die Reihe nur einmal monatlich, und es wurden manchmal andere Zeitungen nachgedruckt. Das war ärgerlich, denn ich hätte am liebsten täglich meinen Beobachter gelesen!

Bald darauf entdeckte ich in der Stadtbibliothek Bücher mit Nachdrucken historischer Nazi-Zeitungen und Plakate. Da konnte ich gar nicht anders, als die Schwarten um diverse Seiten zu erleichtern.

Hakenkreuze, Reichsadler, Frakturschrift. Wie SCHÖN! Ich muss all das HABEN! Ich glaube, ich bin in der falschen Zeit geboren!

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